zum Schreiben oder Dylans Nobelpreis
18. Oktober 2016


Leonard Cohen meinte zum Nobelpreis für Bob Dylan lakonisch: «Für mich ist das in etwa so, als würde man ein Schild vor dem Mount Everest errichten, auf dem ‹höchster Berg der Welt› steht.» Seit einer Woche wird in den Feuilletons über den Nobelpreis an Bob Dylan gestritten. Die Reaktionen sind dabei meistens schwarz oder weiss. Salman Rushdie schrieb auf Twitter: «Von Orpheus bis Faiz, Songs und Poesie waren immer eng miteinander verbunden. Dylan ist ein brillanter Erbe dieser bardischen Tradition.» Während Irvine Welsh giftete: «Ich bin ein Dylan-Fan, aber das ist ein schlecht durchdachter Nostalgie-Preis, gerissen aus der ranzigen Prostata von senilen, idiotischen Hippies». Die FAZ bemühte nach anfänglicher Gutheissung der Wahl einen Artikel mit dem Titel: «Falscher Preis für den Richtigen.» Während sich die einen an der Person des Laureaten abarbeiteten, gingen die anderen wenigstens auf den Kern der Sache ein: ist Lyrik Literatur, bzw. sind Songtexte, die so genannten Lyrics, Literatur?

Wäre Leonard Cohen ausgezeichnet worden, wäre dieselbe Diskussion etwas weniger gehässig geführt worden. Er hat Romane und Gedichtbände veröffentlicht, lange bevor er zu singen begann. Von Cohen ist bekannt, dass er lange an einem einzelnen Text feilt, das kann Wochen, Monate, manchmal auch Jahre dauern. Dylan haftet, bei aller Genialität, auch immer etwas den Ruf der Schludrigkeit an, nichtzuletzt, wegen den oft schlechten Konzerten. Dennoch wird Dylan seit Jahren als Kandidat genannt. Das Nobelpreiskomitee wählte ihn nach eigenen Angaben in grosser Einigkeit und begründet seine Wahl damit, dass Bob Dylan schreibe, um mit seinen Werken aufzutreten, nichts anderes habe Homer getan. Eine Besinnung auf die Wurzeln also? Der Preis wurde nicht für Dylans Wurzeln als Folk- und Protestsänger verliehen, auch wenn die Einfachheit von «Blowin’ In The Wind» und die Tiefgründigkeit der Botschaft zu recht seit Erscheinen ein Klassiker ist. Gewürdigt wurde Dylans Talent, sich ständig neu zu erfinden, vor allem aber wurde er für sein Alterswerk ausgezeichnet, in dem er auf Bestehendes zurückgreife, dieses adaptiere und daraus etwas neues, eigenes entstehen lasse.

In der Tat sind die Texte seiner letzten Alben gespickt mit Anspielungen, nicht nur literarischer Arts, sondern auch von sprachlichem und inneramerikanischen Lokalkolorit, weshalb sich Gisbert Haefs, der Übersetzer von Dylans Werk ins Deutsche, noch immer mit dessen letzten Album «Tempest» von 2012 abmüht. In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» zu Dylans Nobelpreis erzählt Haefs: «Das ist extrem vielschichtiges Material voller inneramerikanischer Verweise. Gerade als Europäer entgeht einem schnell die eine oder andere Anspielung. Da singt Dylan etwa von den ‹Early Roman Kings›, meint aber nicht etwa antike Herrscher, sondern eine New Yorker Gang aus den 1950ern. Ich vermute, dass ich da ein paar Finessen noch nicht entdeckt habe.» Somit erscheint die Wahl Dylans durchdacht und wohlbegründet zu sein.

Überraschenderweise hat noch niemand gefragt, wer ausser Dylan unter den literarischen Songwritern noch würdig ist, den Nobelpreis zu erhalten. Leonard Cohen: mit seinen 82 Jahren hat er das richtige Alter dafür, doch müssen Nobelpreisträger zwingend alt sein? Müssen sie nicht. Unter den weiteren Nobelpreiskandidaten aus der Rockmusik ist Bono Dauerkandidat, jedoch für sein humanitäres Engagement, das in den letzten fünfzehn Jahren tatsächlich zu greifen beginnt. Deshalb taucht er im erweiterten Kandidatenfeld des Friedensnobelpreis auf. Seine Songtexte jedoch sind nicht minder nobelpreiswürdig. Bonos wiederkehrendes Thema ist, wie man in einer säkularen Welt gläubig sein kann, vor allem wenn die härtesten Kritiker aus christlichen Kreisen kommen. Texte wie «Wake Up Dead Man» oder «The Trial» sind allerhöchste Theologie, in Literatur und Musik verpackt, um die Massen zu erreichen. Nach Bono wird das Feld recht dünn. John Lennon ist zu früh gestorben, ebenso Lou Reed. Paul McCartney ist ein genialer Komponist und passabler Lyriker. Gäbe es den Nobelpreis für Musik, er hätte ihn für seine Melodien längst erhalten. Für seine Texte wird er ihn ebensowenig erhalten wie Mick Jagger oder Rapper und Wortakrobaten wie Eminem oder Kayne West. Bis wieder ein Songwriter den Literaturnobelpreis erhält, dürften Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergehen.

Dennoch hat die Nobelpreisjury mit der Wahl eines Singer/Songwriters die richtige Wahl getroffen, denn nichts hat die globale Kultur mehr geprägt, als die Rockmusik in den vergangenen sechs Jahrzehnten. Zumindest dies hat Nobelpreiskomitee erkannt, und letztendlich auch anerkannt. Was viele Reaktionen, wie «Dylan ist der beste» oder «Songs sind keine Literatur» nicht tun. Letzeres immerhin trifft den Kern der Diskussion. Die Jury hat klar gemacht, dass sie Dylan in der Tradtion der Barden sieht. Ob man in der Begründung gleich auf Sokrates und Ovid zurückgreifen muss, bleibe dahingestellt. Diese Botschaft ist im Feuilleton denn auch angekommen, und so fühlte sich mancher selbsternannte Literaturpapst bemüssigt, dies als Rückschritt zu geisseln.

Man kann diesen vermeintlichen Rückschritt gut finden oder auch nicht, dies ändert nichts an der Tatsache, dass der Roman in seiner heutigen Form im Vergleich zur jahrtausendalten Literaturgeschichte eine junge Gattung ist und bleibt. Erst im klassischen 18. Jahrhundert vermochte er sich als Literatur zu etablieren und wurde fortan im Rahmen der nationalstaatlichen Identitätsfindung auch popularisiert. Romane sind ein probates Mittel, Wirklichkeiten abzubilden, aufzuklären. Aber auch zu unterhalten – wobei dann schnell das Etikett Trivial angehängt wird. Wie es auch dem Genre des Comics lange Zeit angehängt wurde. Jemand spottete, man hätte den Nobelpreis auch Donald Duck verleihen können. Hätte man nicht, und wäre mit Hergé der Nobelpreis indirekt an Tintin und Kapitän Haddock verliehen worden, wäre die Diskussion ähnlich verlaufen wie bei Dylan, obwohl in den letzten Jahren die Grafic Novel eine geschätzte Erzählform der Literatur geworden ist – wurden denn im 19. Jahrhundert die Romane nicht illustriert?

Die Urform der Literatur ist die Dichtung: Homer dichtete im Versmass, ebenso die Verfasser des Gilgamesch Epos oder die Autoren der Bibel. Das gesprochene Wort stand im Vordergrund, selbst noch bei den mittelalterlichen Heldenepen wie Wolfram von Eschenbachs «Parzival», Dantes «Göttlicher Komödie» oder Chaucers «Canterburry Tales», die als gesprochene Dichtung aufgezeichnet wurden. Deshalb kann man die Wahl Dylans auch als Machtwort an einen abgehobenen kulturelitären Betrieb verstanden wissen. Und um dieses Machtwort sind wir froh. Wie oft mussten wir uns für unsere Lyrik, die wir bewusst nicht als Gedicht, sondern Lyric, also Songtext, kategorisieren, anhören, dass wir zwar Talent hätten, jedoch dieses nicht mit Songtexten vergeuden sollten. Wollten wir einmal auf Nummer sicher gehen wie bei «Bern Bundesplatz», und verwendeten das Etikett Gedicht, war es ein Reinfall. Die Publikation wurde abgewehrt. Ja, ein erfahrener Schriftsteller als Coach zur Seite gestellt. Dieser meinte, wir sollten ein Typtichon daraus machen. Und fügte nach unserem Protest an, dass es als Spoken Word Text bestens funktioniere. Ob «Bern Bundesplatz» als solcher publiziert worden wäre, bleibt auch nach Jahren noch fraglich.

Wir erinnern uns an einen Höngger Marketingberater, der uns einen Vortrag darüber hielt, weshalb wir keine Literatur schrieben. Er vermisste die Reime. Dass wir uns an den besten des Genres geschult hatten, Bono, John Lennon, vor allem aber an Lou Reed, später auch an Nick Cave und Leonard Cohen und auf einheimischer Ebene an Polo Hofer und Kuno Lauener, liess er nicht als Argument gelten. Diese Welt war ihm fremd. Um so geschätzter die Antwort von Herbert Meier, der unsere Texte las und schrieb: «Ich sehe da wie in einem Gegenwartsspiegel hinein: Das Vokabular, die Formen (Rap, Chanson), das Zeit- und Lebensgefühl, alles da (…) Aber bitte, Sie dürfen von mir kein Urteil erwarten. Mir entspricht manches an der ‹Prosalyrik›, die heute geschrieben wird, nicht besonders. Ich könnte nur ungerecht sein, wenn ich über sie rede.»

Auf der andren Seite gibt es Stepahn Eicher, der sich seine Songtexte von Philippe Djian schreiben lässt. In jüngerer Zeit vertont er auch Songtexte von Martin Suter. Dieser hat 400 Songs geschrieben. Und wie wir, wohl einmal erkannt hat, dass Songwriting und Musikmachen zwei verschiedene paar Schuhe sind… Mittlerweile sind wir als Schreiber versiert genug, um für den Text, bzw. dessen Thema, die adäquate Form wählen, vom klassischen Gedicht über den Song bis hin zum Roman oder dem Theaterstück. Weshalb wir mit Tobias Rüther von der FAZ nicht übereinstimmen, der den Nobelpreis für Dylan als falschen Preis für die richtige Person qualifizierte. Rüther schrieb, dass Dylan den Nobelpreis für Musik erhalten solle, aber nicht jenen für Literatur. Der Nobelpreis wird aber für Musik nicht vergeben, seit 1992 aber wird der Polar Prize vom schwedischen König verliehen, der den Rang des Nobelpreises für Musik hat. Ausgezeichnet wird je ein Musiker aus der populären Musik und jemand aus der klassischen Musik. Den ersten Polarprize erhielt Paul McCartney. An Bob Dylan wurde er im Jahr 2000 verliehen.

Mit der Wahl des Nobelpreiskomitees, einen Singer/Songwriter zu wählen, sind wir vollkommen einverstanden, hätten aber Leonard Cohen, den Dichter unter den Songwritern, vorgezogen.



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